Erscheinungsformen von Antisemitismus
Die IHRA-Definition zum Antisemitismus
Um Antisemitismus wirksam bekämpfen zu können und Antisemiten als solche enttarnen zu können, ist es notwendig, das Phänomen zunächst erkennen und benennen zu können. Ein wichtiges Instrument kann dabei die Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) sein.

Die IHRA-Definition wurde sowohl von der Bayerischen Staatsregierung als auch von der Bundesregierung sowie von inzwischen 34 demokratischen Staaten anerkannt. Auch zahlreiche Unternehmen, Verbände und Vereine sowie sonstige zivilgesellschaftliche und staatliche Organisationen haben die IHRA-Definition inzwischen angenommen, um Antisemitismus entgegenzutreten.
Die IHRA-Definition wurde unter Berücksichtigung historischer und gegenwärtiger Ausprägungen des Antisemitismus unter wissenschaftlicher Begleitung erarbeitet und konzentriert sich als Arbeitsdefinition v. a. auf den Kern des Phänomens:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Die Bundesregierung hat außerdem folgende Erweiterung verabschiedet:
„Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein."
Präzisierung der Arbeitsdefinition Antisemitismus der IHRA
Anhand der folgenden Beispiele wird deutlich, welche Phänomene dem Antisemitismus und dem Judenhass zuzuordnen sind:
- Falsche, bewusst stereotype, dämonisierende oder entmenschlichende Anschuldigungen gegen Juden;
- Unterstellungen über eine vermeintliche Macht von Juden als Kollektiv – insbesondere die Mythenbildung über eine sogenannte „jüdische Weltverschwörung“, über eine angebliche Kontrolle der Medien, der Wirtschaft, der Regierungen oder anderer gesellschaftlicher Institutionen bzw. Akteure durch Juden;
- Die Verwendung von Mythen, Chiffren, Symbolen und Bildern, die mit tradiertem Judenhass in Verbindung stehen (z. B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Juden und/oder Israel zu diskreditieren;
- Das Bestreiten bzw. Relativieren der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z. B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, seiner Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaustleugnung);
- Der Aufruf zur Ausgrenzung, Diffamierung, Verfolgung oder Tötung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung;
- Der Vorwurf gegenüber den Juden als Kollektiv und/oder gegenüber dem Staat Israel, die Shoa erfunden zu haben oder übertrieben darzustellen;
- Das Anzweifeln der staatsbürgerlichen Loyalität von Juden in Verbindung mit der Bezichtigung einer stärkeren Verpflichtung gegenüber angeblichen weltweiten jüdischen Interessen und/oder dem Staat Israel;
- Das Verantwortlichmachen aller Juden für die Handlungen des Staates Israel;
- Der Vorwurf an den Staat Israel, er sei rassistisch;
- Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten anmahnt, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird;
- Die unzulässige Gleichsetzung des demokratischen Staates Israel mit dem NS-Regime sowie mit Staaten, für die Apartheid und rassistische Ausgrenzung konstitutiv sind.
Im Zentrum aller politischer Entscheidungen des Staates Israel steht die Notwendigkeit, diesen einzigen demokratischen Rechtsstaat im Nahen Osten in seiner Existenz abzusichern, auch als mögliches Refugium für die seit Jahrhunderten von Verfolgung bedrohte Judenheit insgesamt. Diese Tatsache ist bei jeder Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen oder Entscheidungsträgern des Staates Israel zu berücksichtigen.
Definition antisemitischer Straftaten in der Arbeitsdefinition Antisemitismus der IHRA
- Antisemitische Taten sind Straftaten, wenn sie als solche vom Gesetz bestimmt sind (z. B. in einigen Ländern die Leugnung des Holocausts oder die Verbreitung antisemitischer Materialien).
- Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsziele, seien es Personen oder Sachen – wie Gebäude, Schulen, Gebetsräume und Friedhöfe – deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind, als solche wahrgenommen oder mit Juden in Verbindung gebracht werden.
- Antisemitische Diskriminierung besteht darin, dass Juden Möglichkeiten oder Leistungen vorenthalten werden, die anderen Menschen zur Verfügung stehen. Eine solche Diskriminierung ist in vielen Ländern verboten.
Die o. g. Arbeitsdefinition „Antisemitismus” wurde von der IHRA bewusst recht knapp und allgemein formuliert. Der im Dezember 2014 vom Bundestag einberufene Expertenkreis Antisemitismus beleuchtet im zweiten Kapitel seines Berichtes vom 07.04.2017 an den Deutschen Bundestag die Entwicklung dieser Arbeitsdefinition und die damit verbundenen Schwierigkeiten.
Neben der IHRA-Definition gibt es natürlich noch weitere Antisemitismus-Definitionen. Je nach Tätigkeitsumfeld kann es sinnvoll sein, weitere Definitionen hinzuzuziehen und sich mit den spezifischen Phänomenbereichen des Antisemitismus genauer auseinanderzusetzen, vgl. dazu auch das Kapitel Erscheinungsformen von Antisemitismus.