Zum Inhalt springen

Jüdische Gemeinden in Bayern

IKG Würzburg

Seit dem Jahr 2006 gibt es in Würzburg das jüdische Gemeindezentrum „Shalom Europa“. Hier befinden sich eine Synagoge mit Mikwe, die Gemeindeverwaltung, das Lauder-Chorev-Jugendzentrum und das „Museum Shalom Europa“. Im dritten Stockwerk des Gebäudes ist zudem das Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken beheimatet.

So können im Gebäude mehrere Ausstellungen zur jüdischen Religion, Geschichte und Kultur besucht werden. Im David-Schuster-Saal finden Konzerte, religiöse Feste und Großveranstaltungen statt. Die koschere Küche ist nicht nur für den Shabbat von größter Wichtigkeit, sondern auch für die Mittagsbetreuung von Schülerinnen und Schülern. Neben einem Friedhof, der noch in Benutzung ist, verwaltet die Gemeinde auch den alten jüdischen Friedhof von Heidingsfeld – einst die wichtigste Gemeinde in ganz Unterfranken.

Zu den bedeutsamsten Vorsitzenden der Gemeinde zählt Dr. Josef Schuster, primär bekannt als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und als Präsident des Bayerischen Landesverbands Israelitischer Kultusgemeinden

Die Geschichte der jüdischen Gemeinden von Würzburg

Eine erste Ansiedlung von Jüdinnen und Juden in der Stadt am Main ist datiert auf die Jahre vor und um 1100. Im Zuge des 1. Kreuzzuges wurden Jüdinnen und Juden in den SCHUM-Städten Speyer, Worms und Mainz ermordet oder von dort vertrieben. So gelangte jüdisches Leben also als Folge von Judenhass nach Unterfranken.

Diese Form des mittelalterlichen Antisemitismus spiegelt sich immer wieder in der Geschichte der nächsten Jahrhunderte wider. Seien es das sogenannte Rintfleischpogrom von 1298, die Armlederverfolgung von 1336 oder das Pestpogrom von 1349 – Jüdinnen und Juden wurden immer wieder haarsträubender Dinge bezichtigt, dann verfolgt oder sogar ermordet. So geriet die Gemeinde im Mittelalter an den Rand ihrer Auslöschung.

Während die Synagoge im damaligen jüdischen Viertel zerstört und die Überlebenden vertrieben wurden, verlor auch der große mittelalterliche Friedhof mehr und mehr an Bedeutung. Am Beginn der Frühen Neuzeit wurde er schließlich zweckentfremdet, die Steine abgetragen und anderswo verbaut, etwa als Fundament unter dem heutigen Juliusspital. Parallel wurden auch Menschen protestantischen Glaubens und Frauen, die man als Hexen verfolgte, aus dem katholischen Hochstift vertrieben oder ermordet.

In der Folge siedelten sich Jüdinnen und Juden überall im zersplitterten Territorium des heutigen Unterfrankens an. 

Die bedeutendste Gemeinde wurde hierbei Heidingsfeld, direkt vor den Toren der Stadt, aber eben nicht mehr im Herrschaftsgebiet des Fürstbischofs gelegen. Dabei waren die Jüdinnen und Juden verschiedenen Formen von Ausgrenzung und antisemitischer Gewalt ausgesetzt, darunter das Erheben spezieller Leib- und Totenzöllen bei der Überquerung territorialer Grenzen.

Noch heute finden sich zahlreiche Flurnamen, die von dieser Zeit jüdischer Mobilität zeugen. Zwischen Heidingsfeld und Würzburg ist es beispielsweise der „Judenbühlweg“, der die Strecke bezeichnet, die man als Kaufmann nutzen musste, um auf dem Weg zum Würzburger Marktplatz die Grenze der beiden Territorien zollfrei zu umgehen, was freilich nicht erlaubt war. 

Doch über nahezu drei Jahrhunderte verzeichnete jüdisches Leben in der Region ein stetes Wachstum. Jüdinnen und Juden lebten in mehr als 200 von gut 300 Gemeinden des heutigen Unterfrankens, wovon mehr als 100 eine eigene jüdische Gemeinde hatten, viele außerdem eine Synagoge und einen Friedhof. Erst mit dem sogenannten Judenmatrikelgesetz von 1813, das in Unterfranken 1817 in Kraft trat, kehrte man zaghaft in die Städte zurück, insbesondere nach Würzburg. Die Landgemeinden wurden kleiner, bis sie stellenweise erloschen.

Mit der Verlegung des Distriktsrabbinats von Heidingsfeld nach Würzburg und durch das Wirken der Rabbiner Abraham Bing und Seligmann Bär Bamberger erlangte die Bezirkshauptstadt bald den Status einer Gemeinde von Weltrang. Dies hing weniger mit der 1841 neu eröffneten Synagoge zusammen als vielmehr mit den Bildungseinrichtungen vor Ort. 

Während die Jeschiwa als erste ihrer Art im Königreich Bayern eine rabbinische Ausbildung mit staatlich anerkannten universitären Abschlüssen verband, ermöglichte die Israelitische Lehrerbildungsanstalt (ILBA) als einzige im ganzen Deutschen Reich ein Studium ohne Hochschulzulassung. So kam es, dass beide Einrichtungen Lernwillige aus ganz Europa, aber auch aus dem Zarenreich und sogar aus den USA nach Würzburg lockten. Anschließend kehrten die Absolventen in ihre Heimat zurück oder trugen den Namen ihres Studienortes in zahlreiche Wirkstätten auf der ganzen Welt.

Nicht etwa das Ende der sogenannten Emanzipationszeit, auch nicht die Gründung des Kaiserreiches waren die Zeitpunkte, an denen Jüdinnen und Juden in Würzburg die vollen Rechte erhielten, die auch allen nichtjüdischen Bürgern zugesprochen wurden. Selbst im Ersten Weltkrieg konnten Offiziere jüdischer Abstammung keine höheren Ränge erreichen als jenen des Hauptmannes. Dies betraf zum Beispiel den Justizrat Dr. Bruno Stern, der später die Kanzlei seines Vaters Dr. Otto Stern in der Würzburger Kaiserstraße übernahm und damit ein bisher ungeahntes Prestige erwarb – allerdings erst nach dem Untergang des Kaiserreiches.

Volle bürgerliche Gleichberechtigung schuf erstmals die Weimarer Republik. In ihr engagierten sich manche Gemeindemitglieder in politischen Parteien und Gremien. So war Dr. Johanna Stahl Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, der in Würzburg rund 70 Prozent der jüdischen Wahlberechtigten zuneigten. Stahl arbeitete als Berufsberaterin, bis die Nationalsozialisten einen normalen Arbeitsalltag für Jüdinnen und Juden unmöglich machten. Im Folgenden beriet sie Menschen dahingehend, wie sie möglichst erfolgreich aus Deutschland auswandern konnten.

Wie Johanna Stahl fielen über 2000 Jüdinnen und Juden aus Unterfranken der Shoa zum Opfer. Ähnlich vielen war zuvor der Umzug in andere Territorien gelungen, aus denen sie dennoch deportiert und ermordet wurden. Etwa 4000 war die Emigration ins sichere Ausland gelungen. 

Beim Luftangriff auf Würzburg am 16. März 1945 wurde nicht nur die ehemalige Synagoge zerstört, auch der jüdische Friedhof wurde von einer Bombe getroffen. Jakob Kahn, der in sogenannter privilegierter Mischehe gelebt hatte, fand an diesem Tag den Tod. Doch das frühere jüdische Altersheim in der Dürerstraße 20 hatte die Bombardierung weitgehend überdauert. Ebenso die „Villa Mandelbaum“, die in der NS-Zeit vom Gauleiter Otto Hellmuth enteignet und bewohnt worden war. In beide Häuser zogen die Rückkehrenden und die Displaced Persons anfangs ein.

In den 1950er Jahren kehrte David Schuster aus Israel zurück nach Unterfranken und wurde später der hiesige Gemeindevorstand. Als Würzburger Parnas führte er die Gemeinde zu neuer Größe. Dabei stand eine moderne Orthodoxie im Mittelpunkt, die allen Willigen den Besuch des Gottesdienstes ermöglichte. Ehe die Gemeinde in den 1990er Jahren aufgrund von Überalterung ein baldiges Ende ereilt hätte, führte der Zuzug von Kontingentgeflüchteten aus den Staaten der einstigen Sowjetunion zu einem Wiedererstarken des Gemeindelebens in Würzburg und Unterfranken.

Heutige Gemeinde

Erst seit dem Jahr 2001 war mit Jakov Ebert wieder ein Rabbiner in Würzburg tätig. Im November 2022 folgte ihm Rabbiner Shlomo Zelig Avrasin, der als Seelsorger erstmals die Muttersprache der Mehrheit seiner Gemeindemitglieder spricht. Das Gemeindeleben ist auf der einen Seite geprägt von häufigen Sterbefällen und einem generellen Überalterungsprozess. Es kommen aber auch neue Mitglieder hinzu, die das Gemeindeleben bereichern, so zum Beispiel Familien aus Israel und Studierende aus anderen jüdischen Gemeinden beziehungsweise aus anderen Ländern. Und auch die Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine seit 2022 hat trotz der schrecklichen Umstände noch einmal neues Leben in die Gemeinde gebracht. 

(© IKG Würzburg ) Sommerliche Begegnungen - Gäste beim Sommerfest der Gemeinde

(© IKG Würzburg ) Chanukkafest

Das Ziel der Würzburger jüdischen Gemeinde in Bezug auf die Integration jüdischer Zuwanderer besteht darin, ihnen eine kulturelle, religiöse und soziale Heimat zu bieten. Wir unterstützten Neuankömmlinge dabei, sich in die Gemeinschaft einzufinden, die jüdischen Traditionen zu bewahren und gleichzeitig die Integration in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Dazu gehören Sprachkurse, soziale Hilfen, religiöse Angebote, Bildungsprogramme sowie kulturelle Veranstaltungen, um den Zusammenhalt und die Identifikation mit der jüdischen Gemeinschaft zu stärken.

(© IKG Würzburg) Sprachkurs für Geflüchtete

(© IKG Würzburg) Informationsveranstaltung für Geflüchtete aus der Ukraine

Zudem gibt es im Shalom Europa eine Fülle von Aktivitäten, die darauf abzielen, junge Gemeindemitglieder mit ihrer jüdischen Identität vertraut zu machen und eine starke Bindung zur Gemeinde aufzubauen. Regelmäßiger Unterricht in unserer Sonntagsschule und Feiern zu jüdischen Festen wie Purim oder Chanukka bieten den Kindern die Möglichkeit, ihre religiösen Traditionen kennenzulernen, sich auf spielerische Weise mit ihren jüdischen Wurzeln auseinanderzusetzen und gleichzeitig neue Freundschaften zu knüpfen. 

(© IKG Würzburg ) Impressionen aus der Sonntagsschule

(© IKG Würzburg) Gemeindefeier

(© IKG Würzburg) Vorführung in der Gemeinde

Auch für Jugendliche und junge Erwachsene bietet die Gemeinde eine Vielzahl von Aktivitäten an, die darauf ausgerichtet sind, die Heranwachsenden in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Von Diskussionsrunden über aktuelle gesellschaftliche Themen bis hin zu Kursen über jüdische Geschichte und Kultur gibt es zahlreiche Möglichkeiten zur intellektuellen Auseinandersetzung und zum Austausch mit Gleichaltrigen. Darüber hinaus finden regelmäßig Freizeitaktivitäten wie Ausflüge, Sportveranstaltungen und Filmabende statt, um den jungen Menschen eine Möglichkeit zum gemeinsamen Spaß und zur Entspannung zu bieten. 

Für die erwachsenen Mitglieder der Gemeinde stehen Bildung und Weiterbildung im Mittelpunkt vieler Aktivitäten. Es werden Vorträge und Seminare zu religiösen, kulturellen und ethischen Themen angeboten, die es den Teilnehmern ermöglichen, ihr Wissen zu vertiefen und sich mit anderen Mitgliedern der Gemeinde auszutauschen. Darüber hinaus werden verschiedene Kurse angeboten, die praktische Fähigkeiten vermittelten, vom Hebräischunterricht bis hin zu Kochkursen für traditionelle jüdische Gerichte. Besonders vielversprechend ist die Einrichtung eines jüdischen Familienclubs mit dem speziell dafür eingerichteten Kinder- und Elternzimmer. So öffnet dieser Club jeden Sonntag seine Tore. Kinder und Eltern schauen vorbei und freuen sich an den dort angebotenen Aktivitäten. 

Neben den religiösen und Bildungsaktivitäten spielen auch soziale Treffen eine wichtige Rolle im Gemeindeleben. Regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten nach dem Gottesdienst, Feiern zu jüdischen Festen und gesellige Veranstaltungen wie Picknicks und Grillabende bieten den Mitgliedern der Gemeinde die Möglichkeit, sich in einer lockeren Atmosphäre zu treffen, neue Freundschaften zu schließen und gemeinsam schöne Momente zu erleben. Vor allem für unsere älteren Gemeindemitglieder versuchen wir, wöchentlich Seniorentreffen und einmal im Monat einen Mittagstisch anzubieten. Diese regelmäßigen Treffen bringen Abwechslung in den Alltag älterer Menschen und führen zu guter Stimmung und mehr Lebensfreude.

(© IKG Würzburg) Ein Ausflug des "Familienclubs"

(© IKG Würzburg ) Malkurs für Senioren

(© IKG Würzburg ) Kreativwerkstatt

(© IKG Würzburg ) Mazza Pizza

(© IKG Würzburg) Jugendliche auf der Bühne während einer Aufführung

Insgesamt bietet die jüdische Gemeinde in Würzburg seit vielen Jahren eine breite Palette von Aktivitäten an, die alle Altersgruppen ansprechen und dazu beitragen, den Zusammenhalt und die Verbundenheit innerhalb der Gemeinschaft zu stärken. Durch das vielfältige Angebot an religiösen, kulturellen, Bildungs- und sozialen Aktivitäten kann jedes einzelne Mitglied der Gemeinde seinen Platz finden und aktiv am Gemeindeleben teilnehmen. 

Shalom Europa

Israelitische Kultusgemeinde Würzburg

www.shalomeuropa.de